Offener Brief an die Airbnb-Community: Wie wir zu einem Unternehmen des 21. Jahrhunderts werden

Ich fühle mich irrsinnig glücklich, diese E-Mail überhaupt schreiben zu dürfen. Vor zehn Jahren haben wir Airbnb gegründet. Joe und ich konnten uns damals unsere Miete nicht mehr leisten, also luden wir drei uns komplett unbekannte Leute dazu ein, im ersten „AirBed & Breakfast“ bei uns zuhause zu übernachten. Viele waren davon überzeugt, dass unsere Idee nicht funktionieren würde – „Fremde werden sich niemals blind vertrauen!“ Zehn Jahre später hatten wir fast 300 Millionen Gästeankünfte in Unterkünften auf Airbnb.

Ich war gerade dabei, über die nächsten zehn Jahre von Airbnb nachzudenken, als ich einen Anruf erhielt, den ich nie vergessen werde. Ein enger Berater sagte mir, dass jetzt ein guter Zeitpunkt wäre, „eure Intentionen zu institutionalisieren, um Konflikte mit eurer Vision möglichst gering zu halten, auch wenn ihr weiterhin wachst“. Das hat mir bewusst gemacht, dass wir aufschreiben sollten, was wir institutionalisieren möchten, bevor es zu spät dafür ist. Also stellte ich mir selbst die Frage: Wenn Joe, Nate und ich morgen nicht mehr hier wären, was sollte die Welt dann über die Intentionen von Airbnb wissen?

Airbnb ist immer noch jung und der Beton noch nicht getrocknet. Wir sind jetzt zwar groß genug, dass alles möglich ist – aber noch nicht so groß, dass Veränderungen beinahe unmöglich wären. Wir können immer noch radikal sein und der Zeitpunkt könnte angesichts der Entwicklungen in der Welt gar nicht perfekter sein. Die Menschen leben immer mehr in digitalen Blasen, das Vertrauen gegenüber Institutionen ist auf einem Rekordtief, und Unternehmen erkennen, dass sie eine größere Verantwortung gegenüber der Gesellschaft tragen.

Uns ist klar, dass wir nicht nur für unsere Mitarbeiter, unsere Anteilseigner oder unsere Community verantwortlich sind – sondern auch für die nächsten Generation. Unternehmen haben die Verantwortung, die Gesellschaft voranzubringen. Die Probleme, bei deren Lösung Airbnb mithelfen kann, sind so enorm, dass wir einen längerfristigen Zeithorizont im Blick haben müssen.

Die Technologien haben sich während meines bisherigen Lebens stark verändert – nicht aber, wie Unternehmen funktionieren. Unternehmen stehen Druck und Zwängen gegenüber, die auf dem Vermächtnis des 20. Jahrhunderts beruhen. Man konzentriert sich üblicherweise auf immer kurzfristigere finanzielle Interessen, oft auf Kosten der Vision, des langfristigen Wertes und des gesellschaftlichen Einflusses eines Unternehmens. Man könnte sagen: Es sind Unternehmen aus dem 20. Jahrhundert, die in der Welt des 21. Jahrhunderts existieren.

Wir hingegen möchten ein Unternehmen entwickeln, das den einzigartigen Anforderungen des 21. Jahrhunderts entspricht. Wir möchten, dass Airbnb ein Unternehmen des 21. Jahrhunderts ist, das sich vor allem durch zwei Merkmale auszeichnet:

  1. Wir haben einen unbegrenzten Zeithorizont.
  2. Wir dienen allen unseren Stakeholdern.

 

Unbegrenzter Zeithorizont

Ich weiß, dass viele Unternehmen eine langfristige Orientierung im Blick haben. Eine andere Möglichkeit wäre aber, sie als unbegrenzt zu betrachten. Dieses unbegrenzte Unternehmen ist eine Idee, die mir ein Freund, der Autor Simon Sinek, vorgestellt hat. Simon meinte, dass der Zweck eines Unternehmens darin besteht, seine Vision voranzubringen – und weil eine Vision wie eine Bergspitze ist, die man nie ganz erreichen kann, sollte man mit einem unbegrenzten Zeithorizont arbeiten. Viele Unternehmen sind aber so gestaltet, dass sie begrenzt sind. Begrenzte Unternehmen konzentrieren sich darauf, ihre Mitbewerber zu schlagen und kurzfristige Interessen zu bedienen. Doch die Wirtschaft ist nicht begrenzt. Es gibt keine Stoppuhr wie im Sport, also kann man auch nicht gewinnen oder verlieren – man kann nur weiterleben und durch Innovation fortbestehen. Das heißt nicht, dass das Erreichen klarer Ziele nicht wichtig wäre oder dass man sein Bewusstsein für Prioritäten abschütteln und schwierige Entscheidungen meiden sollte. Auch kurzfristiger Erfolg ist weiterhin wichtig – solange er die eigene Vision voranbringt. Simon formulierte es so: Man sollte sich darauf konzentrieren, wie man die Bergspitze erreicht, und nicht auf die Verschnaufpausen am Weg hinauf.

Wir glauben, dass ein Unternehmen bis ins nächste Jahrhundert weiterleben sollte, nicht nur bis ins nächste Quartal. Ein Unternehmen des 21. Jahrhunderts sollte irgendwann einmal zu einem Unternehmen des 22. Jahrhunderts werden. Ein Unternehmen mit einem unbegrenzten Zeithorizont kann mehr wagen, mehr Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen und mehr bleibende Veränderungen schaffen.

  • Wir institutionalisieren daher zahlreiche Maßnahmen, um dieses Ziel nach und nach in die Praxis umzusetzen: Am 22. Februar werden wir das nächste Kapitel ankündigen, um eine Welt mit Gastgebern an ihrer Spitze zu stärken. Wir werden einige grundlegende Verbesserungen an unserem Service und Angebot vorstellen, die uns für einen unbegrenzten Zeithorizont rüsten sollen.

 

Allen Stakeholdern dienen

Was ist der Zweck eines Unternehmens? Ich würde sagen: seine Vision umzusetzen. Aber auch das genügt nicht mehr. Wir müssen unsere Vision umsetzen und gleichzeitig dafür sorgen, dass sie auch gut für die Gesellschaft ist. Das bedeutet, dass wir dabei die Interessen von drei verschiedenen Stakeholdern beachten müssen: Airbnb als Unternehmen (seine Mitarbeiter und Anteilseigner), Airbnb als Community (die Gäste und Gastgeber) und die Welt außerhalb von Airbnb.

Als Unternehmen des 21. Jahrhunderts müssen wir für Harmonie zwischen diesen Stakeholdern sorgen. Zum Beispiel muss Airbnb als Unternehmen seinen Werten weiterhin treu bleiben, mit Mut und Mitgefühl vorangehen und gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreich sein. Airbnb muss die Gastgeber in unserer Community als Partner behandeln und dafür sorgen, dass sich Gäste wie zuhause fühlen können. Dabei müssen wir die Communitys vor Ort weiterhin stärken und die Vielfalt und Akzeptanz in der Welt ausbauen. Seinen Stakeholdern zu dienen bedeutet, auch ehrlich anzusprechen, wo man sich noch verbessern muss – denn wir wissen, dass wir bei weitem nicht perfekt sind. Ein Bereich, auf den wir uns dabei konzentrieren, sind Märkte mit angespannter Wohnungssituation: Hier wollen wir dafür sorgen, dass die Airbnb-Community die Wohnungssituation nicht negativ beeinflusst, sondern einen Beitrag dazu leistet, dass Menschen in ihrem Zuhause bleiben und ihre Community mit anderen teilen können.

  • Als ersten Maßstab dafür, wie gut wir unseren Stakeholdern dienen, werden wir im März Airbnbs ersten jährlichen Stakeholder-Bericht veröffentlichen. Dieser Bericht wird explizit die Kriterien festlegen, nach denen wir unseren Stakeholdern gegenüber verantwortlich sein wollen. Genauso wie der Jahresbericht eines Unternehmens dazu dient, den Anteilseignern seinen finanziellen Erfolg zu veranschaulichen, müssen unsere Ergebnisse und Aussagen auch unsere Fortschritte in unserem Bemühen erkennen lassen, ein Unternehmen des 21. Jahrhunderts zu werden.

 

Neues Mitglied des Verwaltungsrates

Zu den Bemühungen, ein Unternehmen des 21. Jahrhunderts zu gestalten, gehört auch, ein Board of Directors (also einen Verwaltungsrat) zusammenzustellen, das uns sowohl bei der Umsetzung unserer Vision für das 21. Jahrhundert als auch bei der Institutionalisierung unserer Intentionen helfen kann. Ich freue mich sehr, bekannt geben zu können, dass Ken Chenault unser erstes externes, unabhängiges Mitglied des Board of Directors wird. Airbnb ist auf Vertrauen aufgebaut. Ken hat als CEO von American Express eines der erfolgreichsten vertrauensbasierten Unternehmen der Welt gestaltet – ein Unternehmen, das seit fast 168 Jahren besteht und Innovationen hervorbringt. Ken und ich haben uns ausführlich über das Modell für das 21. Jahrhundert unterhalten, und ganz besonders über die Rolle, die Vertrauen als Infrastruktur für ein solches Modell spielt. Ken ist ebenso fest davon überzeugt, dass Unternehmen heute mehr als je zuvor für Werte, Charakter und Kompetenz stehen müssen. Er sagt: „Unternehmen existieren meiner Meinung nach nur deshalb, weil es uns die Gesellschaft erlaubt. Unternehmen haben keinen Anspruch auf ihre Existenz. Ich glaube daher, dass wir eine Verpflichtung und Verantwortung dafür tragen, die Gesellschaft voranzubringen.“

 

Die nächsten zehn Jahre und danach

In den zehn Jahren seit unserer Gründung von Airbnb habe ich oft darüber nachgedacht, wie so eine Idee jemals funktionieren könnte: Millionen von Fremden, die jeweils beim anderen zuhause übernachten. Tatsache ist, dass wir – Airbnb als Unternehmen – das Meiste davon nicht selbst geleistet haben. Es waren unsere Gastgeber und die weitere Airbnb-Community, die das Meiste davon geschaffen haben. Und von ihnen habe ich auch zwei Dinge gelernt: Erstens sind Menschen grundsätzlich gut und zweitens sind wir zu 99 % gleich.

Und wenn wir davon ausgehen, dass Menschen gut und größtenteils gleich sind, dann sollten wir auch noch mehr erreichen können, als dass Menschen bei anderen zuhause übernachten. Wir stellen uns eine Welt vor, in der jeder von uns überall zuhause sein kann. Eine Welt, in der man überall hinkommen kann und von anderen mit den Worten „Willkommen zuhause!“ begrüßt wird. Wo „Zuhause“ nicht nur ein bestimmtes Haus meint, sondern jeden Ort, an dem man dazugehört. Wo jede Stadt sich wie ein Dorf anfühlt, jeder Häuserblock eine Community ist und an jedem Küchentisch eine Unterhaltung stattfindet. In dieser Welt können wir alles sein, was wir wollen. Das ist die magische Welt von Airbnb. Vielleicht werden wir diese Vision nie ganz umsetzen – aber wir werden auf jeden Fall unser Bestes dafür geben.

Brian Chesky

Mitgründer, CEO und Head of Community